Kanzler vs.
da Vinci
„Die Zeichnung [il disegno] ist aber so hervorragend, dass sie nicht nur die Werke der Natur erforscht, sondern unendlich mehr hervorbringt als die Natur [ … ] und daraus schließen wir, dass die Zeichnung nicht nur eine Wissenschaft ist, sondern eine Gottheit genannt werden muss, die alle sichtbaren Werke des Allmächtigen neu erschafft.“ (Da Vinci nach Chastel)
Ein Halbschattenreich eröffnet sich einem, betritt man die Bilderwelt von René Kanzler, denn Kanzler zeichnet mit Licht.
Aus diesem Halbschattenreich hat sich Apollo zurückgezogen, sind an dessen Stelle unterschiedliche Lichtquellen getreten und löst sich in ihm dergestalt die Grenze zwischen Subjekt und Objekt auf.
Auch Dianas Stellung verändert sich in ihm; wenn man wie Cellini als Mitglied der Accademia del Disegno im 16. Jahrhundert die Naturgöttin als eine weitere Verkörperung von disegno mit „Ursprung und Anfang aller menschlichen Tätigkeit“ charakterisiert, verliert auch die Grenze zwischen Natur und Kultur folglich an Schärfe.
Bei Kanzler jedoch fällt Cellinis Dichotomie von disegno primo und disegno secondo in eins, sind disegno della mente und forma, practica ohne Hierarchisierung aufeinander bezogen. Insofern bestehen Kanzlers Arbeiten aus Materialabschattungen von Rezeption und Produktion, deren designatio die Grenze zwischen Piktoralem und Diskursivem aufheben.
So muss ein Medienbegriff scheitern, der sich an dem bis heute nachwirkenden Malereidiskurs der italienischen Kunsttheorie des 15. und 16. Jahrhunderts über disegno und, ex negativo, colore orientiert: Unsinnig sich zu fragen, was nicht augenscheinlich sein kann – ob Kanzler fotografiert –, denn Kanzler beleuchtet Zeichen.
Ging es hier jemals um einen vermessenen Vergleich mit Da Vinci? Nope.